Heute um 21 Uhr ist endlich Anstoß der EM 2022 zwischen England und Österreich. Letztere mussten kurz vor Turnierstart mit Maria Plattner und Lisa Kolb noch zwei Spielerinnen ersetzen. Leider machte gestern inmitten der sich steigernden Vorfreude auf den Turnierstart dann auch noch die Nachricht über den Kreuzbandriss der spanischen Weltfußballerin Alexia Putellas die Runde. Mir sind daran anknüpfend mehrere Dinge wichtig, deswegen gibt’s den Blick auf das Eröffnungsspiel dann morgen als Rückschau.
Die Verletzung von Alexia Putellas
Alexia Putellas verpasst wegen eines Risses des vorderen Kreuzbandes die EM. Das wurde gestern zuerst von Andrea Peláez Marzo für COPE berichtet und dann im Verlaufe des Abends vom spanischen Fußballverband bestätigt. Was für eine niederschmetternde Nachricht einen Tag vor der Eröffnung!
Als allererstes für Putellas persönlich, sie wird monatelang ausfallen und sich dann langsam wieder zurück arbeiten müssen. Niemand möchte etwas verpassen, auf das man so lange, so intensiv hingearbeitet hat wie eine Profisportlerin in absoluter Topform auf das voraussichtlich bisher größte internationale Turnier Europas im Fußball der Frauen. Da bleibt erstmal nur, einen guten Heilungsverlauf zu wünschen.
Auch für das Turnier selbst und all seine Fans, egal ob lang dabei oder gerade neu dazugekommen, ist diese Nachricht eine riesige Enttäuschung, denn alle wollen schließlich die besten Athletinnen und Teams in stärkster Besetzung sehen. Putellas ist mit dem FC Barcelona gewachsen und zu einem Gesicht für die positive Entwicklung der letzten Jahre geworden, von der viele hoffen, dass sie durch diese EM einen weiteren Schub bekommt.
Schwierigkeiten bei Spanien
Sportlich ist es für Spanien ein Rückschlag, auf die beste Spielerin seines eingespielten Mittelfeldes verzichten zu müssen. Zumal bereits der Ausfall von Jennifer Hermoso vor einigen Wochen in Verbindung mit einigen Nicht-Nominierungen ein Dämpfer für die Favoritinnenrolle war.
Spaniens Trainer Jorge Vilda steht in der Kritik dafür, das erfolgreiche Spiel Barcelonas inklusive seiner Spielerinnen übernehmen zu wollen, ohne bei den Kadernominierungen einen würdigenden Blick nach links oder rechts zuwerfen, obwohl dadurch entscheidende Spielerinnentypen fehlen. Auf besonders großes Unverständnis stieß die ursprüngliche Nicht-Nominierung von Amaiur Sarriegi und die erneute Nicht-Berücksichtigung beim Ausfall Hermosos.
Sarriegi ist 21 Jahre alt und wurde mit Real Sociedad San Sebastián Zweite der spanischen Liga noch vor Real und Atlético. Ihr gelangen in 30 Ligaspielen 17 Tore und 10 Vorlagen. In Spaniens WM-Quali traf sie in 5 Spielen 11-mal. Dass sie nach der Verletzung von Putellas nun dabei ist, könnte eine späte Einsicht sein.
Zyklus, Forschung & Minuten-Management
Es wird abgesehen von der Zusammenstellung des Kaders aber auch eine ernsthafte Debatte um Gesundheit und Belastung geben müssen. Vor allem über präventive Maßnahmen vor Kreuzbandrissen, die bei Frauen im Fußball vier bis sechsmal häufiger auftreten als bei Männern, und über die Berücksichtigung des Menstruationszyklus bei der Trainingssteuerung.
Verschiedene Verbände und Vereine haben glücklicherweise bereits angefangen, u.a. den Zyklus und auch äußere Elemente als wichtige Faktoren zu beachten, anstatt nur ein und dieselbe Belastungssteuerung für alle zu übernehmen. Es braucht aber allgemein noch viel mehr Forschung zu dem Thema.
Speziell auf Alexia Putellas bezogen kommen dann noch die gespielten Minuten hinzu. Schaut man bei Wyscout auf alle Spielerinnen, die an der EM teilnehmen, ist Putellas mit 3741 Minuten auf Platz acht der Spielerinnen mit den meisten Minuten in der letzten Saison. Laut Soccerdonna sind es sogar 3888 (dort sind es auch fünf Spiele mehr, aber welche genau weiß ich nicht. Das ist noch ein harmloser, wahrscheinlich erklärbarer Fall, aber willkommen in der Welt von Daten im Frauenfußball).
Die sieben Spielerinnen, die laut Wyscout noch mehr gespielt haben als Putellas, spielen bis auf eine Ausnahme in Person von Dominique Janssen vom VfL Wolfsburg alle in der englischen Liga. Den ersten Platz belegt Millie Bright mit 4902 Minuten, bei Soccerdonna sind es 4358 (auch hier: keine Ahnung, warum es bei Bright hier drei Spiele weniger sind).
Hoffen wir alle, dass es während der EM nicht zu weiteren schweren Verletzungen kommen wird.
Zitat des Tages
“It’s so overwhelming. You want to take that time to yourself to be upset. It’s OK to be devastated. Take the time to have that heartbreak and then you can change that mindset later on.”
Taylor Ray, Spielerin des Sydney FC, im Februar 2022 gegenüber ABC SPORT über wiederholte Kreuzbandrisse, siehe auch Artikel-Empfehlung unten.
Empfehlungen des Tages
- FRÜF-Crewmitglied Tamara Keller hat in ihrem Text “Darum haben Frauen häufiger einen Kreuzbandriss als Männer“, vom August 2018 auf eben jenes Problem geschaut.
- Inzwischen wird das von immer mehr Vereinen und Verbänden im Training beachtet, das neueste DFB Strategiepapier deutet zumindest an, dass Prävention vor Kreuzbandrissen und Menstruationszyklus in Zukunft mehr beachtet werden sollen.
- Einer der Verbände, der sich um Verbesserung bemüht, ist der Australische. Dieser Artikel von Samantha Lewis für ABC Sport beschreibt, was dort getan wird und warum rein biologistische Erklärungsansätze für das Aufkommen von Kreuzbandrissen inzwischen infrage gestellt wird (27.02.2022).
- Thematisiert und sozusagen in Aktion gezeigt werden solche Anpassungen im Training in der sehr guten Dokumentation “One Team, One Dream” über die Frauen des FC Chelsea. Ich sage das als jemand, die sonst keine Sportdokumentationen mag. In Deutschland kann man das auf dem YouTube-Kanal von DAZN schauen, der auch die Champions League überträgt.
- Helene Altgelt hat einen sehr tiefgreifenden Text über Alexia Putellas verfasst, der wunderbar erklärt, was diese Fußballerin so besonders macht und welche sportliche Bedeutung sie für Barcelona und Spanien hat.
- Noch eine allgemeine Podcast-Vorschau zur EM gesucht? Dann ab rüber zu Lottes Erbinnen. Da gibt’s außerdem eine Tippspielrunde bei Kicktipp.
Fotocredit: Alexia Putellas für Barcelona beim Ligaspiel gegen Eibar am 27.06.2021 in Barcelona. © Natursports | Dreamstime.com