Vor der Mini-Vorschau weiter unten gibt es eine Rückschau, die etwas weiter zurückreicht als sonst bisher in diesem Tagebuch üblich, denn auch in der englischen Presse wurde vor der Halbfinalpartie gegen Schweden an das Finale 1984 erinnert. In aller Kürze und mit vielen Aussparungen deshalb hier ein paar Informationen zu diesem Finale und wie eigentlich der Weg dorthin aussah.
Das Finale von 1984
Rund 38 Jahre ist es hier, dass die erste Europameisterschaft der Frauen unter der Flagge der UEFA gespielt wurde. Damals war noch sehr vieles anders. Es gab nicht ein Finale, sondern Hin- und Rückspiel, die Halbzeiten durften jeweils nur 35 Minuten lang sein und der Ball musste eine Nummer kleiner sein. Und – das muss man immer wieder betonen – es war nicht die erste EM, es gab vorher bereits inoffizielle Turniere ohne die UEFA.
Inoffizielle EM 1957 in Berlin
Sie sind verschieden hoch angesehen, 1957 gab es in Berlin eine inoffizielle EM, die von Vereinen aus vier verschiedenen Ländern ausgespielt wurde. Die Manchester Corinthians traten für England an und gewannen das Turnier.
Organisiert wurde es von der International Ladies Football Association, einem kleinen Verband, der noch im selben Jahr gegründet wurde. Mitglieder waren Deutschland, Österreich, die Niederlande und England. Wegen Fehlkalkulation und Verdacht auf Betrug wurden die verantwortlichen Initiatoren der EM Willi Ruppert und Dr. Gert Bernats angezeigt.
Die Medienlandschaft zeigte sich danach aber – mit sehr gönnerhaften Formulierungen – begeistert. Genauer nachlesen lässt sich das alles hier oder (im gleichen Wortlaut) im Buch von Eduard Hoffmann und Jürgen Nendza: “Verlacht, verboten und gefeiert. Zur Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland.”
Die späten 1960er- und 70er-Jahre
Häufiger hört man aber von den Turnieren etwas später in Italien. Da gab es zum Beispiel die Europameisterschaften von 1969 und 1979. Diese Zeit Ende ab der 60er-Jahre ist sehr spannend, denn der Fußball der Frauen war genau mit solchen Turnieren in seinen eigenen Organisationsstrukturen sehr erfolgreich und zog mit seinem wachsenden Publikum wirtschaftliches Interesse auf sich.
Das brachte FIFA und UEFA zum Umdenken, allerdings nicht aus einer progressiven Haltung heraus. Die nationalen Verbände wurden dazu angehalten, den Fußball der Frauen einzugliedern. Daraufhin wurde dieser dann in den meisten Ländern vernachlässigt und es wurde unter Sonderregeln gespielt, obwohl die Teams bisher anderes gewohnt waren.
Halbzeiten hatten nur je 35 Minuten zu dauern und der Ball sollte kleiner sein. Damit wurde die Sonderrolle des Fußballs der Frauen markiert. Beim DFB gab es die Entscheidung, den selbst formulierten Ausschluss aufzuheben 1970, in England ein Jahr später im Jahr 1971.
Internationale Spiele fanden in der Zwischenzeit weiter statt. Es gab aber eben auch einige weitere inoffizielle Europa- und Weltmeisterschaften, die mit ihren wachsenden Publikumszahlen dazu beitrugen, dass die Ausschlüsse von Frauenteams aus nationalen Verbänden aufgehoben wurden.
Wenn man da bei den EMs bleibt, gab es 1969 ein Turnier im Italien, das vom FICF organisiert wurde, einem eigenen italienischen Verband für den Fußball der Frauen, der schließlich in den FIGC mit eingegliedert wurde. Der italienische Verband ist auch der einzige, der diese Länderspiele als offiziell anerkennt.
Das Turnier wurde am 1. und 2. November 1969 zwischen vier Ländern ausgetragen: Italien, Dänemark, England und Frankreich. Während für Italien eine Auswahl des FICF an den Start ging, wurde Dänemark durch Femina BK (Gladsaxe) vertreten. Die englische Auswahl wurde durch Trainer Harry Batt ausgesucht, darunter einige Spielerinnen von Southampton. Wie die französische Auswahl zustande kam, ist mir nicht bekannt. Am Ende gewann Italien mit 3:1 im Finale gegen Dänemark und England holte sich den dritten Platz.
1971 wurde in der UEFA ein rein männlich besetztes Komitee für den Fußball der Frauen gegründet, das es allerdings bis zu seinem Ende im Jahr 1978 nicht schaffte (oder nicht schaffen wollte), ein internationales Turnier zu organisieren.
Daher gab es eine weitere inoffizielle EM in Italien, dieses Mal nahmen 12 Nationen Teil und es gab eine Gruppenphase mit vier Gruppen mit jeweils 3 Teams. Die italienischen Gastgeberinnen schafften es wieder ins Finale, mussten sich aber Dänemark mit 2:0 geschlagen geben. Deutschland war hier nicht vertreten und England schied wie Schweden im Halbfinale aus.
Ein Jahr später beschloss die UEFA, eine eigene Europameisterschaft für die Frauen zu schaffen, das Turnier von 1979 wurde “mit Sorge” betrachtet, das ist bekannt, weil sich Historikerin Jean Williams für ihr 2007er-Buch Protokolle der Sitzung angeschaut hat (siehe Empfehlungen).
England gegen Schweden 1984
Die Qualifikation begann 1982 von der UEFA organisiert, es spielten 16 Teams in vier Vierergruppen. Die Finalrunde bestehend aus zwei Halbfinals mit Hin- und Rückspiel, sowie dem Finale mit Hin- und Rückspiel fand zwischen dem 8. April und 27. Mai 1984 statt.
England und Schweden schafften es beide ins Finale, die Schwedinnen hatten beim Hinspiel Heimrecht. Da unter FIFA-Regeln für den Fußball der Frauen gespielt wurde, waren die Halbzeiten wie schon erwähnt nur 35 Minuten lang und der Ball eine Nummer kleiner.
Das Hinspiel fand bei bestem Wetter am 21. Mai 1984 in Göteborg im Nya Ullevi Stadion statt und wurde im schwedischen Fernsehen übertragen. Im Stadion anwesend waren etwas mehr als 5.500 Zuschauer*innen.
Eine Aufzeichnung der schwedischen TV-Übertragung findet man heute noch in ganzer Länge bei YouTube. Da kann man sich u.a. anschauen, wie Pia Sundhage in der 57. per Kopf das einzige Tor des Hinspiels zum 1:0 für Schweden erzielte, die Vorlage per Flanke kam von Angelica Burevik von der rechten Seite.
Das Rückspiel an der Kenilworth Road in Luton hätte kaum unter gegensätzlicheren Bedingungen stattfinden können. Hier waren 2.500 Zuschauer*innen im Stadion, das Spielfeld aber war eher ein sehr matschiger Acker und im Fernsehen wurde die Partie nicht gezeigt.
Bei YouTube gibt es aus dem Archiv der Nachrichtenagentur AP einen Videoclip, den wohl jemand mit einer Handkamera vom Spielfeldrand aus aufgenommen hat. Der Guardian hat zudem gestern eine Bildstrecke veröffentlicht, die die Bedingungen dieser zweiten Partie sehr gut einfängt.
Durch das 1:0 für England in der 31. Minute durch Linda Curl war das Ergebnis aus dem Hinspiel ausgeglichen und weil sonst keine Tore mehr fielen, gab es ein Elfmeterschießen ohne vorherige Verlängerung. Bekanntermaßen setzten sich hier die Schwedinnen durch, wieder war es Pia Sundhage, die den entscheidenden Treffer erzielte.
Für eine Weile kam das Spiel vor allem als Randnotiz im Narrativ des englischen Scheiterns bei Elfmeterschießen vor. Rund um die EM und speziell jetzt vor dem Halbfinale Englands gegen Schweden gibt es in der englischen Presse aber einige Rückblicke. Im Telegraph gab es z.B. einen Spielbericht über das Finale, so wie er heute über ein solches Ereignis verfasst würde.
Und was passiert heute?
Erstmals geht’s heute in nur einem Spiel natürlich um den Einzug ins Finale, nicht den Titel selbst. Es gibt gerade aus dem englischsprachigen Raum eine ganze Wagenladung an Vorschauen, ein paar davon habe ich unten in den Empfehlungen verlinkt.
Ich persönlich finde es schwierig, das Spiel zu prognostizieren, ich bin nicht sehr überzeugt von Schweden, habe andererseits aber auch den Verdacht, dass ich sie vielleicht etwas unterschätze. Im Spiel von England gegen Spanien hat man gesehen, wie schwer sich die Gastgeberinnen tun, wenn Keira Walsh im Mittelfeld aus dem Spiel genommen wird.
Etwas Ähnliches zu schaffen, traue ich Schweden auf jeden Fall zu, allerdings müssen sie dafür einige Fehler aus der Partie gegen Belgien beheben. Da waren die Offensiv- und Mittelfeldspielerinnen zwar für ein hohes Pressing positioniert, gingen aber nicht richtig drauf und der Abstand zur eigenen Abwehrreihe schien teilweise zu groß. Es gab also auch für ein Team wie Belgien sehr viele freie Räume, um sich zu befreien, da fehlte es dann oft nur an der Technik. Das Problem wird England nicht haben. Mit der Frage, ob Schweden das gelingt (und für wie lange), steht und fällt für mich die Partie.
Offensiv werden die Schwedinnen mehr Platz bekommen, als es gegen Belgien der Fall war, weil England das Spiel machen möchte. Da gibt es also Potenzial für Konter und die muss Schweden dann effizient ausnutzen. Hinter den englischen Außenverteidigerinnen gibt es immer wieder sehr viel Platz. Wenn das Team von Peter Gerhardsson etwas tiefstehender spielt, aber gut bei den Ballgewinnen im Mittelfeld ist, sollten sie in gute Situationen kommen können.
Vom Gefühl her geht das Spiel in die Verlängerung und ab da ist es dann immer auch eine Frage der Kräfte, da kommt dann auch der Heimvorteil mit rein, deswegen denke ich, dass England sich knapp mit 1:0 durchsetzt.
Empfehlungen des Tages
Zum Finale 1984
- Rich Laverty schrieb im Jahr 2017 für die Seite In Bed With Maradona über die EM 1984, sein Artikel enthält einige Statements von damaligen Spielerinnen.
- Vom ersten Finalspiel gibt es eine Aufnahme der schwedischen Fernsehübertragung, die es in voller Länge zu YouTube geschafft hat.
- Vom zweiten Spiel des Finales gibt es online nur diesen Videoclip aus dem Archiv von AP. Es ist eine etwas wild zusammengeschnittene “Zusammenfassung” ohne Kommentar, sehr flickerig und aus der Perspektive einer Handkamera vom Spielfeldrand, man kann aber sehr gut den matschigen Acker erkennen, der das Spielfeld sein sollte und es sind alle Tore zu sehen.
- Beim Guardian gibt es eine Bildstrecke vom Rückspiel.
- Carrie Dunn hat für The Telegraph schon vor zwei Wochen einen Spielbericht über das Finale von 1984 geschrieben, wie man das heutzutage machen würde.
- Bei der UEFA gibt es einen kurzen Bericht über das Finale, der zwar von 1984 datiert ist, aber definitiv später geschrieben wurde. Der Artikel wurde online das letzte Mal 2014 geupdatet.
- Ein paar Buchempfehlungen für Geschichtsinteressierte:
Jean Williams: “A History of Women’s Football”, Pen & Sword History 2021.
Jean Williams: “A Beautiful Game: International Perspectives on Women’s Football”, Berg Publishers 2007.
Sue Lopez: “Women on the Ball: A Guide to Women’s Football”, Scarlett Press 1997.
Zum Spiel heute & anderen Dingen
- Alina Ruprecht hat für 90min eine ausführliche Vorschau auf das Spiel geschrieben.
- Casey Stoney ist ehemalige Kapitänin Englands und jetzt selbst Trainerin, für die Times hat sie aus englischer Sicht auf das Spiel gegen Schweden vorausgeschaut.
- Amée Ruszkai schaut für goal.com eher aus schwedischer Perspektive auf die Partie.
- Im Rasenfunk war Jana Lange zu Gast und erzählte über ihre Arbeit vor Ort bei der EM für den SID.
- Rory Smith schreibt in der New York Times darüber, dass die meisten europäischen Vereine keine Vollzeit-Scouts für ihre Frauen-Abteilungen haben, was das bedeutet und warum die EM deshalb eine Chance der Wissenserweiterung war.