England gewinnt das Eröffnungsspiel gegen Österreich im Old Trafford mit 1:0 durch ein Tor von Beth Mead in der 17. Spielminute. Die Gastgeberinnen taten sich vor der Rekordkulisse schwer, so wie es bei solchen Partien üblich ist. Etwas Ähnliches kann man leider auch über das deutsche Fernsehen sagen, wobei ich mich über eine Sache sehr gefreut habe.
England 1 : 0 Österreich
Ich habe das Spiel ursprünglich zusammen mit anderen geschaut, dementsprechend hatte ich nicht in jedem Moment so den taktischen Blick auf das Geschehen. Danach habe ich (siehe weiter unten) noch kurz in das Re-Live bei DAZN reingeschaut. Bei uns hatten einfach alle so richtig Bock darauf, dass die EM endlich losgeht.
Ich bin außerdem immer noch jedes Mal ein bisschen bewegt, wenn ich ein Spiel in so einem großen Stadion sehe. Abgesehen von Highlightspielen und der Champions League sind es ja sonst Woche für Woche die kleinen Plätze und die Kameras so nah dran, dass alles noch beengter aussieht, als es eigentlich ist.
Ein paar Sachen sind mir trotzdem aufgefallen. Ich finde es zum Beispiel nicht überraschend, dass am Ende keine reine Offensivspielerin als Player of the Match ausgezeichnet wurde, ich fand beide Offensivreihen nicht gut. England auf einem anderen Niveau als Österreich, aber man ist von ihnen anderes gewohnt.
Offensive glänzt nur punktuell
Das lag zum Teil an den beiden Defensivreihen, da fand ich beide Seiten stark. Bei den Österreicherinnen war die Spieleröffnung hinten raus hin und wieder ein Problem, bei England regelt das Leah Williamson, die wieder in der Innenverteidigung auflief. Player of the Match wurde allerdings Mittelfeldspielerin Georgia Stanway. Durchaus verdient, ich hätte mir da aber auch Keira Walsh sehr gut vorstellen können.
Die beiden bildeten auf dem Papier Englands Doppelsechs im 4-2-3-1, allerdings spielten sie es im eigenen Ballbesitz häufig so, dass Stanway sehr weit vorrückte und Walsh sich sehr geschickt zwischen den Österreicherinnen um sie herum positionierte. Sie war dann zwar allein im Mittelfeld, aber ihre Gegnerinnen einfach viel zu weit weg. Walsh ist außerdem sehr ballsicher und konnte dann ihre Mitspielerinnen vor sich einsetzen.
Das funktionierte allerdings nicht von Anfang an, denn Österreich ging in den ersten Minuten sehr hoch ins Pressing, England wirkte unsicher. Es gab eine sehr vielversprechende Szene ganz am Anfang, in der Zadrazil aus diesem Pressing heraus an den Ball kommt, England ist ungeordnet, sie kommt bis in den Strafraum und etwas rechts von ihr ist Nicole Billa komplett frei. Zadrazil entschied sich für den Schuss und daraus wurde nichts.
Mit dem technisch herausragenden Führungstreffer von Mead (was für eine Vorlage von Fran Kirby!) fielen die Österreicherinnen dann aber teilweise sehr weit zurück. Erst gegen Ende schafften sie es nochmal, nach vorn zu kommen. Man hat aber gesehen, dass Maria Plattner ihnen nach ihrem Schlüsselbeinbruch sehr fehlt. So war es dann in der ersten Halbzeit ein phasenweise chaotisches, aber unterhaltsames Spiel und nach der Pause etwas zäh.
Die Balance finden
Bei England hatte ich schon in der Vorbereitung immer mal den Eindruck, dass sie Schwierigkeiten haben könnten, den Sweetspot zwischen Kontrolle und Zielstrebigkeit zu finden. Beziehungsweise: Schwierigkeiten damit, dass alle Spielerinnen sich gleichzeitig darüber einig sind, welches der beiden Dinge gerade besser passt.
Sie haben immer wieder längere Phasen in ihrem Spiel, die vielversprechend aussehen, aber letztendlich nicht zu Großchancen führen. Das ist für mich die Entwicklung, die sie über das Turnier schaffen müssen, wenn es mit dem Titel was werden soll, denn andere Gegnerinnen werden es ihnen noch schwerer machen, den Ball zu halten.
Für Österreich wird es schwierig, wenn sie sich zu sehr hinten reindrücken lassen. Sie sind immer dann gut, wenn sie hoch pressen. Es ist klar, dass man sich auf so großer Bühne nicht noch mehr Gegentore abholen möchte, aber ich fand sie zu vorsichtig.
Wir woll'n euch analysieren seh'n (und hören)
Frauenfußball und Fernsehübertragungen, das bleibt wohl noch eine Weile Thema. Erst einmal aber hat mich gestern gefreut, dass in der ARD das leidige W gestrichen wurde. W wie in UEFA Women’s Championship 2022 oder, wie beim offiziellen Social Media Hashtag #WEURO. Den habe ich anfangs auch verwendet, weil das so ein Automatismus ist, habe es mir dann aber auf Hinweis von Mara Pfeiffer sehr schnell abgewöhnt. Was ist das Problem?
Fußball ist Fußball, assoziiert wird mit dem Wort aber der aus historischen Gründen über-präsente Männerfußball. Es gibt also sehr häufig in der Berichterstattung und auf Vereins-Websites auf der einen Seite den Fußball, so selbstverständlich männlich, dass das nicht explizit ausgeschrieben wird. Die Norm eben. Und auf der anderen Seite dann den Frauenfußball, damit markiert als eine Art Sonderkategorie vom Fußball. Der ja eigentlich nur der Fußball ist, aber uneigentlich eben nicht.
Richtig wäre es, konsequent von Männerfußball zu sprechen und schreiben, wenn eben der gemeint ist. Das passiert aber viel zu selten und so manifestiert sich dann diese Unterkategorie immer weiter. Bei der EM ist das besonders absurd, weil die Turniere absichtlich nicht in den gleichen Jahren stattfinden. Allein dadurch wissen schon alle Fans, um welches Turnier es geht.
Ambitionslose Präsentation
Ich versuche es kurz zu halten. In der ARD ging es 45 Minuten vor Anpfiff los, es gab ein paar Einspieler zur allgemeinen Einstimmung und über Deutschland. Für das Zeitfenster war es eigentlich zu viel, denn es wirkte alles sehr gehetzt. Nia Künzer wies noch darauf hin, dass man in manchen Ländern sogar jedes der Spiele live im TV sehen kann (Guten Morgen, hier winkt ein Zaunpfahl). Leider gab es kaum Infos zu den beiden Teams des Abends.
In der Halbzeitpause gab es vermutlich eine Analyse, aber keinen Ton. Ist eine Panne, die mal vorkommt, sieht aber im Gesamtkontext richtig mies aus. Nach Abpfiff war die Sendung nach einer kurzen Schalte ins deutsche Lager sehr schnell vorbei, keine Field-Interviews oder ähnliches. Das ist bei der Größe von allem dann schon richtig dünn. Bei DAZN gab’s im Relive weder Vor-, noch Halbzeit-, oder Nachprogramm.
Das werden beide zu den deutschen Spielen anders machen, ich fand es aber zur Eröffnung enttäuschend. Einen großen Unterschied gab es beim Kommentar. Da unterscheiden sich natürlich die Stile grundsätzlich. Was ich aber überhaupt nicht gut fand, war das wiederholte Niederreden der Stimmung im Stadion in der ARD.
Zum einen stimmte das in der Form tatsächlich einfach nicht, das kann man bei DAZN sogar sehr deutlich hören, und es entspricht auch nicht dem, was man zeitgleich online von Leuten lesen konnte, die im Stadion waren. Zum anderen fehlte jegliche Einordnung dazu, dass es größtenteils eine andere Art von Publikum ist, zumal Länderspiele in der Hinsicht sowieso immer eine eigene Sache sind.
Zitat des Tages
“I said it’s like an Old Trafford we’ve never seen it before. I’ve been fortunate enough to come here and see some massive games like Man United – Liverpool, the Manchester derby, but the sound in the match today was just absolutely piercing.
Of course, it came from a much more diverse crowd than what we’re used to seeing in football or especially in the Premier League. A lot more complete families coming out with their young children. A lot more girls as well and let me tell you, that crowd did not stop singing!”
Alexis Nunes für ESPN UK über die Stimmung im Stadion.
Zahl des Tages
Die Zahl der Zuschauer*innen im Stadion war am Ende nicht ganz so hoch wie erwartet, 74.000 Tickets waren für das Spiel verkauft worden. Dennoch gab es einen neuen Rekord für ein Spiel während einer Europameisterschaft.
Der bisherige Rekord waren 41.301 Zuschauende als Deutschland im Finale von Solna im Jahr 2013 gegen Norwegen gewann.
Empfehlungen des Tages
- Der großartige englischsprachige Podcast Their Pitch von Amanda Zaza und Mia Eriksson interviewt in jeder Folge eine Spielerin oder eine*n Trainer*in. In der einen Gesprächshälfte geht’s ums Kennenlernen und in der nerdigen Hälfte dann um Taktik. Beides ist immer wieder sehr spannend, in der neuen Folge ist Laura Freigang am Mikro.
- Die ersten drei Folgen von der vom DFB bei Warner in Auftrag gegebenen Dokureihe “Born for this” über das deutsche Nationalteam ist jetzt in der Mediathek verfügbar. Hatte selbst noch keine Zeit, bin aber gespannt.
- Martin Krauss fasst in seinem Artikel “Graham’s Eleven und ihre Töchter” für die taz einige der wichtigsten historischen Marken in der Entwicklung des englischen Frauenfußballs bis zur Aufhebung des Spielverbotes 1971 zusammen.
- Wer sich dafür genauer interessiert, sollte unbedingt das Buch “The History of Women’s Football” von Jean Williams lesen. Das geht über diesen Zeitpunkt hinaus und ordnet seine Quellen sehr unterhaltsam zu lesen ein.
Fotocredit: Das berühmte Old Trafford Stadium in Manchester aus der Luft fotografiert von © Photo London Uk | Dreamstime.com