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Bright in Brighton. EM-Tagebuch (17)

Brighton Stadion 1024
Das Falmer Stadium in Brighton, auch bekannt als Amex, aus der Eckfahnenperspektive. © Cosmin Iftode | Dreamstime.com

Die Gastgeberinnen setzten sich in einem engen Spiel gegen Spanien durch und erreichen das Halbfinale, wo sie entweder auf Schweden oder Belgien treffen werden. Die Entscheidung gab es aber erst in der Verlängerung. Eine interessante und bereits bekannte Rolle spielte dabei Innenverteidigerin Millie Bright.

England 2 : 1 Spanien (n.V.)

Ich schrieb es gestern Abend noch kurz auf Twitter und ich wiederhole es gerne: das Spiel gestern fühlte sich an wie ein Finale, und zwar im besten Sinne. Ich habe das Spiel gestern einfach nur als Fußballfan geschaut, ohne analytische Fragen im Hinterkopf und ich bin sehr froh darüber, ich fand es sehr mitreißend und hatte einen richtig guten Abend. Jedenfalls ist dadurch mancher Eindruck vielleicht etwas unsauber. Das komplette Spiel habe ich mir heute nicht nochmal angeschaut, aber ein paar Ausschnitte.

 

Anfangs gefiel mir England richtig gut, sie hatten ihre Formation ein wenig verändert zu einem 4-2-3-1, das erlaubte ihnen, mehr Druck im Zentrum zu machen. Spanien blieb bei seinem 4-3-3 und war, wie schon gegen Deutschland, sehr darauf bedacht, das gegnerische Spiel über die Flügel zu verhindern.

 

Auf der linken Seite kam hier Teresa Abelleira in die Startformation und machte einen guten Eindruck. Auf der rechten Defensivseite machte Ona Batlle ein herausragendes Spiel gegen Lauren Hemp. Die Spanierinnen wussten außerdem die Abseitsregel perfekt für sich zu nutzen. So kippte das Spiel im Verlauf der ersten Halbzeit mehr in ihre Richtung, es schien mir auch so, als würden die Engländerinnen in ihren Aktionen etwas nachlässig. Ich glaube, das erste Mal dachte ich das so um die 20. Minute herum.

 

Ich fand, dass Spanien von Anfang an versuchte, etwas druckvoller zu spielen, als wir es bisher bei dieser EM von ihnen gesehen hatten. Der Eindruck kommt zum Teil auch daher, dass England seinerseits natürlich versuchte, nach vorn zu spielen.

 

Auch wenn sie nach Ballverlust schnell in ihre defensive Ordnung zurückfielen, gab es hinter den hochstehenden Außenverteidigerinnen immer wieder Platz für Spanien. Obwohl England vor der Pause nochmal eine kurze Druckphase hatte, war mein Gefühl zur Halbzeit deswegen, dass Spanien die Partie für sich entscheiden würde.

Athenea del Castillo mit der Vorlage zur Führung

Athenea del Catillo
Athenea del Castillo beim Spiel gegen Zhytlobud Kharkiv am 6. Oktober 2021 in der Champions League für Real Madrid. © Vitalii Kliuiev | Dreamstime.com

Zur Pause kam Athenea del Castillo für Marta Cardona. Die ersten Aktionen gehörten England, Spanien war auf der Suche nach der eigenen Ordnung, England presste sehr hoch. In der 51. Minute gab es den ersten spanischen Vorstoß über Athenea auf der rechten Seite und von da an kippte die Partie wieder in ihre Richtung, wenn auch zunächst ungefährlich.

 

Das änderte sich bald danach entscheidend. Teresa Abelleira spielt von der linken Seite zu Caldentey, die sich im Halbraum bewegt und sofort von mehreren Seiten unter Druck gesetzt wird. Die kann sich aber mit einem kurzen Dribbling zurück und einer schnellen Drehung nach innen aus der Situation lösen und passt zu Bonmatí in der Mitte, die da bereits durch einen schnellen Schulterblick weiß, dass Athenea in ihrem Rücken auf dem rechten Flügel komplett frei ist.

 

Sie startet mit Ball in Richtung Sechzehner, lässt Daly mit einer Täuschung aussteigen und passt flach nach innen zu González, die den Ball einmal vom Fuß springen lässt und dann einnetzt (54.).

 

Die Spanierinnen hatten danach noch weitere gute Offensivszenen, Athenea gefiel mir auch unabhängig von der Vorlage gut, sie brachte die von ihr erwartete Direktheit ins Spiel und hatte bei ihren Pässen in den Strafraum eine gute Übersicht. England war bemüht, aber ihnen fiel nicht so richtig etwas ein, Spanien kontrollierte das Mittelfeld sehr gut. Wiegman reagierte mit mehreren Wechseln.

 

In dieser Phase des Spiels schrieb ich im FRÜF-Watch-along-Chat, England habe keinen Plan B. Kurz darauf fiel der Ausgleich und Becci schrieb: „Da war der Plan B :D“. Und rechte hatte sie natürlich, was für alle Arnold-Clark-Cup-Ultras leicht zu erkennen gewesen sein sollte.

 

Denn Wiegman hatte mit den Einwechslungen vorher auf eine Dreierkette umgestellt und Innenverteidigerin Millie Bright nach vorn in den Sturm beordert – ein Zug, den es beim Vorbereitungsturnier Anfang des Jahres häufiger zu sehen gab.

Eine heikle Entscheidung

In der Szene rund um den Ausgleich in der 83./84. Minute kommt Bright gar nicht an den Ball, bindet aber natürlich Gegenspielerinnen (schafft es sogar, sich im Rücken von Batlle und Aleixandri wegzubewegen, weshalb ich in der Situation darauf wartete, dass der Ball zu ihr fällt).

 

Die Flanke von Lauren Hemp von der rechten Seite findet den Kopf von Russo, deren Ablage nahm sich Ella Toone, Sandra Paños hatte keine Chance. Man muss rund um das Tor zum Ausgleich auch noch die Entscheidung der Schiedsrichterin und des VAR erwähnen, denn Russo stützte sich bei Paredes auf, sodass diese nicht hochspringen konnte.

 

Ich kann verstehen, dass die spanische Seite sich sehr darüber aufregte, dass das Tor nicht zurückgenommen wurde, für mein Empfinden war die Entscheidung aber korrekt und im Rahmen der sonstigen Linie des Abends, Frappart ließ sehr viel laufen und am Ende werden diese Situationen sehr selten abgepfiffen. Für einen VAR-Eingriff war es dann aus meiner Sicht zu wenig.

Verlängerung

Gleich bei der ersten Gelegenheit bei dieser EM gab es also eine Verlängerung. Sarina Wiegman änderte ihre Formation wieder zu einer Viererkette mit Millie Bright in der Innenverteidigung. England gefiel mir insgesamt besser, Spanien verteidigte aber stark, deswegen überrascht es nicht, dass es zur Führung einen (herausragenden) Fernschuss von Georgia Stanway brauchte (96.), nachdem sie von Keira Walsh in den freien Raum geschickt worden war.

 

Erst danach brachte Jorge Vilda die oft geforderte Amaiur Sarriegi von Real Sociedad, ich habe sie hier zum erstem Mal spielen sehen und konnte sofort verstehen, warum ihre Nichtberücksichtigung, verspätete Nachnominierung und dann Bankdrückerinnen-Rolle in den letzten Wochen so ein riesiges Thema in Spanien waren.

 

Klar, sie war in manchen Situationen ein wenig nervös, hätte sich für manchen Abschluss mehr Zeit nehmen können, aber ich schätze, das passiert eben, wenn man mit 21 Jahren ohne vorherige Eingewöhnung dann in so eine Verlängerung geschmissen wird. So gab es dann in der Schlussphase Chancen auf beiden Seiten mit wirklich starken Szenen für Spanien, nur sprang nichts Zählbares dabei heraus.

 

Gemessen an den Trainer*innen-Entscheidungen finde ich Englands Weiterkommen verdient, auch wenn Spanien mal wieder das optische Übergewicht hatte. Und es freut mich auch extrem für Sarina Wiegman, die ich schon seit ihrer Zeit bei den Niederlanden sehr schätze. Es ist für mich aber schon fraglich, was passiert, wenn die Gastgeberinnen dann das erste Mal auf ein Team treffen, das verteidigen kann und gleichzeitig torgefährlich ist.

Zahl des Tages

Millie Bright wurde gestern völlig zurecht zur Spielerin des Spiels gewählt. Die Innenverteidigerin mit der Option zur Strafraumstürmerin ist nicht nur stark im Zweikampf und in ihrem defensiven Positionsspiel, sondern auch eine oft unterschätzte Passgeberin.

 

Gestern kamen 86 % ihrer Bälle bei ihren Mitspielerinnen an, darunter waren neun lange Bälle, von denen sechs im gegnerischen Drittel ankamen.

Prozent Passquote
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Zitat des Tages

“Everyone is on the same page and everyone can start, but those that come in can make a difference. Everyone is so supportive and knows their role. We talk about all scenarios and we’re prepared for them all. It starts with the quality of the players. We have so much quality in our team that it’s easier to make substitutions because you know that the new layers can make a difference.”

 

Sarina Wiegman, Cheftrainerin von England, nach dem Spiel.

Empfehlungen des Tages

  • Arden Holden, selbst professionelle Fußballspielerin, schreibt darüber, warum sie aus taktischer Sicht Schweden von allen Teams bei dieser EM bisher am liebsten zugeschaut hat.
  • Es war schon in der Vorbereitung immer wieder die Rede davon, dass Wiegmans England auf jedes Szenario eine Antwort habe, Emma Sanders schreibt mit Blick darauf für die BBC über gestern Abend.
  • Vom NDR gibt es eine Dokumentation über Sexismus im Fußball, die heute Abend nach dem Deutschlandspiel im Fernsehen gezeigt wird, aber auch in der Mediathek zu finden ist. Daher kann ich noch keine genaueren Content Notes angeben.
  • Jessy Parker Humphreys hatte schon vor dem Viertelfinale für The Analyst über Englands Chancen im weiteren Turnier geschrieben.
  • Natürlich gibt es auch heute wieder die gewohnte Podcast-Dröhnung aus Lottes EM-Morgen und Rasenfunk, wie immer eine großartige Kombi!
  • Für Menschen mit 11Freunde-Abo: Jasmina Schweimler hat vor den Viertelfinalbegegnungen auf diese vorausgeschaut.

Fotocredit Titelbild: Das Falmer Stadium in Brighton, auch bekannt als Amex, aus der Eckfahnenperspektive. © Cosmin Iftode | Dreamstime.com