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Azzurre shocking. Frankreich gegen Italien. EM-Tagebuch (7)

Barbara Bonansea 1920
Barbara Bonansea während des Qualifikationsspiels zur FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2023 von Italien gegen Moldawien im Nereo-Rocco-Stadion in Triest, Italien, 17. September 2021. © Ettoregriffoni | Dreamstime.com

Gestern ging’s dann auch mit der letzten Gruppe bei dieser EM los. Belgien und Island trennten sich 1:1 und Frankreich gewann mit 5:1 gegen Italien. Die Kommentierung von Ersterem kam bei DAZN recht altertümlich daher. Die englische FA möchte in Zukunft bei der Trikotgestaltung mehr auf die Bedürfnisse der Spielerinnen eingehen.

Italien: Nicht alles ist schlecht

Über das Sportliche haben Noah und ich heute im Rasenfunk schon ausführlich gesprochen. Die heutige Überschrift des Tagebuchs ist eine Abwandlung des Titels der Dokumentations-Serie „Azzurro shocking, come le donne si sono riprese il calcio“ („Wie die Frauen den Fußball zurückeroberten“), die ich auch im Rasenfunk kurz erwähnt habe (und in den Empfehlungen gibt’s für Menschen mit Italienisch-Kenntnissen den Link zu einem Ausschnitt).

 

Was mir beim Durchwühlen der Verbandsseiten in Vorbereitung auf die EM daran sofort ins Auge fiel, war der willkommen kritische Ton. Die Doku wurde von Rai Uno in Zusammenarbeit mit dem italienischen Verband FIGC produziert. Wenn man sich mit der Geschichte des Frauenfußballs in Europa beschäftigt, gibt es in allen Ländern Parallelen:

 

Ein früher Boom (von dem heute kaum noch jemand weiß), gefolgt von Verboten durch die nationalen Verbände und – als dann klar wurde, dass man Frauen nicht so leicht vom Ball trennen kann – einer Aufnahme mit teils abstrusen Regeländerungen, um die „Andersartigkeit“ irgendwie abgrenzend zu verankern.

 

Häufig wird das von den Verbänden dann aber als reine Erfolgsgeschichte erzählt, Stichwort „50 Jahre Frauenfußball“, die der DFB feiern wollte, was historisch schlicht nicht korrekt ist. Ein Interesse daran, das selbstkritisch aufzuarbeiten und die vielen Lücken in der Geschichtsschreibung zu schließen, scheint bisher zu fehlen. Bisher sind es vor allem Menschen, die sich neben ihren Berufen in der Freizeit besonders darum bemühen und Stadtarchive durchforsten, wie die tollen Leute vom Podcast Legende verloren.

 

Deswegen jedenfalls sind die aktuellen Bemühungen in England und Italien so erfrischend. Bei Rai heißt es zu der Dokumentation zum Beispiel: „[(„Wie die Frauen den Fußball zurückeroberten“] Ein Titel, der für diejenigen, die den Frauenfußball als eine neue Sportart betrachten, beunruhigend erscheinen mag, aber “Azzurro Shocking” wurde genau deshalb geschaffen, um eine Geschichte zu erzählen, die vielen unbekannt ist. Dank des Archivmaterials aus internationalen Archiven und der RAI Teche wird ein Abenteuer erzählt, das vor mehr als einem Jahrhundert begann, nämlich das einer Sportbewegung, die oft ignoriert, manchmal verspottet und sogar durch nationale und internationale Vorschriften bekämpft wird.“

 

Falls ich in den nächsten Wochen geschriebene Rezensionen dazu finde und dort spannende Dinge drinstehen, werde ich das hier noch einmal aufgreifen.

„Da ist der Dame ein Stein vom Herzen gefallen“

Wenn wir schon beim Thema Sprache sind, muss ich hier noch einmal aufgreifen, wozu ich gestern schon auf Twitter ironisch geschrieben hatte. Ich habe mir angewöhnt, mich mit Kritik an Kommentator*innen zurückzuhalten, denn ich habe sehr großen Respekt davor, wie schwierig das sein kann, live auf Sendung nicht nur den Überblick zu behalten und gleichzeitig unterhaltend zu sein. Gestern war ich dann aber sehr unzufrieden. Für DAZN kommentierte Guido Hüsgen die Partie Belgien gegen Island, es fiel sehr häufig das Wort „Damen“.

 

Und ich meine nicht im Sinne von, „das sind die Damen von Eintracht Frankfurt“, das wäre auch antiquiert, aber das ist noch halbwegs gängig. Nein, mir geht es um die Beschreibungen aktiver Handlungen. Wie in der Überschrift dieses Abschnitts hier. „Da hat die Dame sich verschätzt“, usw.

 

Es war ziemlich eindeutig, dass da einige Namen nicht bekannt waren. Warum das dann so abstrus altertümlich daherkommen musste, erschließt sich mir nicht. Besonders absurd war das rund um die Szenen, in denen hart, aber fair gegrätscht wurde.

 

In Anlehnung an das Schlager-Sendeplatz-Debakel in der ARD am Sonntag bin ich jedenfalls stark dafür, dass Laura Freigang und Co einen Song aufnehmen sollten, meine nicht vorhanden Mundharmonika-Fähigkeiten stehen bei Bedarf zur Verfügung.

Zahl des Tages

Laut L Football schalteten gestern in Italien 2,6 Millionen Zuschauer*innen beim Spiel ein, mit einem Marktanteil von 18,08 Prozent lagen die Azzurre damit an der Spitze, zur WM 2019 waren die Einschaltquoten gegen Brasilien aber besser (6,5 Millionen, MA 29,3 %).

 

Allerdings war das auch das dritte Spiel in der Gruppe und man hatte vorher mit Siegen gegen Australien und Jamaika bereits einige Herzen erobern können. Mal sehen, wie es nach der herben Niederlage gegen Frankreich in dieser Hinsicht weitergeht.

TV-Zuschauer*innen
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Zitat des Tages

“It’s very nice to have an all-white kit but sometimes it’s not practical when it’s the time of the month. We deal with it as best we can. We’ve discussed it as a team and we’ve fed that back to Nike.”

 

Beth Mead über die komplett weißen englischen Trikots und Menstruation, Quelle: ESPN (Sophie Lawson). Die englische FA gab bereits bekannt, das zu unterstützen.

Empfehlungen des Tages

  • Informativ, humorvoll und ohne Angst vor bildhafter Sprache: Das ist Sophie Lawsons Bericht für ESPN über das Spiel zwischen Frankreich und Italien, den ihr lesen solltet. Und folgt ihr auf Twitter, wenn ihr das noch nicht macht!
  • Meine Teams beim Rasenfunk während der EM sind Belgien und Italien, dementsprechend war ich heute Morgen zusammen mit Noah Platschko zu Gast im Kurzpass.
  • Über die Dokumentationsreihe habe ich oben ja schon mehr geschrieben. Hier gibt es einen kurzen Ausschnitt bei RAI 1.
  • Auch hier noch einmal der Link zu Legende verloren. Wer nicht schon in den Podcast reingehört hat, sollte das nachholen, es geht u.a. um die Recherche zum allerersten Bundesligator.
  • Bei Forgotten Heroines wird ungeschriebene Geschichte des Frauenfußballs aus der ganzen Welt gesammelt, wer also Expertise oder die Möglichkeit des Nachschlagens hat: Gerne dort melden. Alle anderen können gespannt lesen.
  • Helge Faller hat einen dreisprachigen Blog (Englisch, Deutsch, Französiche) namens Les Footballeuses über Pionierinnen des Club-Fußballs gestartet. Bisher gibt es Spielerinnen aus Österreich, Belgien und Frankreich.

Barbara Bonansea während des Qualifikationsspiels zur FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2023 von Italien gegen Moldawien im Nereo-Rocco-Stadion in Triest, Italien, 17. September 2021. © Ettoregriffoni | Dreamstime.com