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Fehlender Zugriff. EM-Tagebuch (23)

Schweden v ireland qualifiers 12 04 2022
Das schwedische Nationalteam bildet einen Kreis. Leider weiß ich nicht, bei welcher Partie das Foto gemacht wurde, es ist aus dem Jahr 2021. Bild von Christoffer Borg Mattisson auf Pixabay

England gewann gestern mit 4:0 gegen Schweden, wie es dort weitergeht ist gerade noch unklar. Ihnen fehlte über weite Teile des Spiels jedenfalls genauso der Zugriff, wie wohl einigen internationalen Pressevertreter*innen.

England 4 : 0 Schweden

Heute bin ich sehr spät dran, deswegen mache ich’s zum Spiel möglichst kurz: Mit so einem eindeutigen Ergebnis hatten vorher nur die wenigsten gerechnet. Die Schwedinnen hatten eine gute Anfangsphase, in der sie in Führung hätten gehen müssen. Mit der Chancenverwertung hatten sie ja schon vorher so ihre Probleme.

 

So aber konnte England das Spiel an sich reißen, Keira Walsh war für mich die entscheidende Person, die immer wieder mit feiner Technik wichtige Zweikämpfe für sich entschied. In der zweiten Halbzeit spielten sich die Engländerinnen zeitweise in einen Rausch, auch weil Schweden sie ließ. Da gab es kaum noch Gegenwehr und England probierte einfach alles, sei es ein Tor per Hackentrick oder eines per Heber.

 

Besonders Russos Tor per Hacke wanderte heute fröhlich aus allen Perspektiven durch die Medien und ich kann es mir gerne auch noch den Rest der Woche immer wieder anschauen.

 

Auf schwedischer Seite tat mir Hedvig Lindahl leid. Sie ist eine ganz Große dieses Spiels. Es gibt nur wenige, über die man das so sagen oder schreiben kann, ohne, dass es zu pathetisch wird. Ob es mit ihr beider Nationalelf weitergeht, ist gerade noch nicht bekannt.

 

Die Spielerinnen bekamen gestern einige Hass-Nachrichten zugesandt, der schwedische Verband schloss über Nacht die eigenen Social-Media-Kanäle, weil eine Moderation nicht möglich gewesen wäre.

 

Auch die Zukunft des Trainers Peter Gerhardsson ist aktuell unbekannt. Die schwedischen Medien waren nach dem Aus sehr kritisch, denn das ganze Turnier war nicht sehr überzeugend. Ich fand den gezeigten Fußball oft sehr merkwürdig, das war aus meiner Sicht teilweise auch schon letztes Jahr in Tokio so.

Den Titel holt wieder eine Trainerin

Seit Einführung der Gruppenphase im Jahr 1997 wurden die Gewinnerinnen der EM immer von einer Frau trainiert und das wird auch dieses Mal so sein. Sarina Wiegman steht jetzt zum zweiten Mal hintereinander mit ihrem Team im Finale. Ihr Coaching mag von außen auf den ersten Blick simpel aussehen, immer mit der gleichen Startelf und sogar häufig den selben Wechseln.

 

Um an den Punkt zu kommen, so gut funktionierende Abläufe in petto zu haben, braucht es aber sehr viel harte Detailarbeit. Und sie passt Feinheiten des Vorgehens der Engländerinnen immer wieder im Spiel an, proaktiv, nicht nur reaktiv.

 

Taktisch auf einer Ebene sehe ich da von den verbliebenen beiden nur Martina Voss-Tecklenburgs Deutschland. Ähnlich wie bei den Engländerinnen gibt es auch hier immer die gleiche Herangehensweise, aber mit etwas verschiedenen Detailanpassungen und auch mit unterschiedlichen Ansätzen in mehreren Phasen eines Spiels.

 

Genauso wie bei den Engländerinnen auch, gibt es hier noch Dinge, die verbessert werden können, aber da Niveau ist schon sehr hoch. Bei Frankreich sieht für mich hingegen sehr vieles danach aus, dass sie vor allem über ihre gigantische individuelle Klasse kommen, taktische Anpassung, die über ein generelles Zurückziehen oder wieder offensiver spielen hinausgehen, habe ich dort noch nicht gesehen.

 

Deswegen würde mich ein deutscher Finaleinzug doppelt freuen, aus meiner Sicht träfen dann die beiden Besten dieses Turniers aufeinander. Aber mal sehen, was später passiert.

Zugänge für die Presse

Für mich selbst ist es noch sehr neu, ein Turnier aus der Perspektive einer Berichterstatterin zu erleben und ich selbst bin nicht vor Ort. Mir ist aber schon die ganzen Wochen über aufgefallen, dass es während dieser EM immer wieder Probleme bei den internationalen Kolleg*innen gab, die via Twitter geäußert wurden. Gestern rund um das Spiel von England war das vermehrt der Fall.

 

Grundlegende Probleme, die vorher immer wieder genannt wurden, sind die Größe der Stadien in Bezug auf zu wenige Presseplätze, generell zu wenige Plätze, die Arbeiten erlauben, Mixed Zones draußen (gut wegen Corona, schlecht wegen oft vieler lauter Fans direkt daneben), schlechtes oder nicht vorhandenes WLAN, schlechte oder fehlende Übersetzungen der Pressekonferenzen und schlechte Verpflegung.

 

Für mich sieht es so aus, als hätte das bisher vor allem die kleineren Medien und Freie getroffen. Gestern schien es aber auch die größeren/etablierteren Medien und Journalist*innen zu treffen. Sie konnten gar nicht oder nicht mit der gewünschten Personenstärke vor Ort sein. Das schrieb zum Beispiel Molly McElwee vom Telegraph, was dann von anderen aufgegriffen wurde.

 

Zum Beispiel von Suzy Wrack, die für den Guardian schreibt: “Exactly the same problem at the Guardian. Ambition to send exactly the same number of journalists to each game as we did the men’s. The reality? Press boxes are too small. The coverage suffers. The few that get in are overstretched and we have to commit to less.

 

Zustimmung gab es dazu auch u.a. von Adam Millington und Sophie Lawson, die außerdem in einem lesenswerten Thread unabhängig davon sehr deutlich darüber schrieb, wie schwierig es in allen Ländern ist, von der Berichterstattung über den Fußball der Frauen leben zu können und welche unnötigen Hindernisse es bei dieser Arbeit oft gibt.

 

Das führt dann dazu, dass Menschen mit viel Expertise und eigenen Perspektiven aus existenziellen Gründen aufhören müssen oder zumindest regelmäßig darüber nachdenken, weil dieser Stress irgendwann an die Substanz geht. Ein Wachstum des Fußballs der Frauen sollte also auch einhergehen mit einem Wachstum der Berichterstattung drumherum, und zwar nicht nur in der Masse, sondern auch bei den Arbeitsbedingungen und der Bezahlung.

 

Das Wachstum des englischen Fußballs, der bereits in den vorläufigen Erfolg des Halbfinaleinzuges mündete, hat neben vielen anderen Dingen auch damit zu tun, dass in der Medienlandschaft ein Umdenken stattgefunden hat. Das ist zum Teil auch durch Pflichten eingetreten, dass die BBC eine bestimmte Anzahl von Spielen der WSL im Fernsehen zeigen muss, steht im TV-Vertrag. Aber auch in großen Medien wie dem Guardian findet die Liga auf großer Fläche statt.

Zahl des Tages

Der englische Expected Goals Wert lag beim gestrigen Spiel laut Wyscout bei 2,39 – und der Schwedische bei 2,05. Das sieht eigentlich nicht nach einer Partie aus, die 4:0 endet. Aber wie weiß jede Bolzplatzgemeinschaft: Du musst die Dinger halt auch machen.

Expected Goals
0

Zitat des Tages

Whatever happens in the final now, if girls are not allowed to play football just like the boys can in their PE after this tournament, then what are we doing? We’ve got to make sure that they are able to play and get the opportunity to do this.

 

Because this is going to inspire a lot of people, but if there’s no legacy to this, like what we saw with the Olympics, if there’s no legacy to this, then what are we doing? Because girls should be able to play. Because this is as proud as I’ve felt of any England side.”

 

Ian Wright bei der BBC nach dem Spiel.

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