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Through the Darkest of Times

Die dunklen Silhouetten zweier Menschen vor dem brennenden Reichstag.
Die dunklen Silhouetten zweier Menschen vor dem brennenden Reichstag. © Paintbucket Games.

[Ursprünglich veröffentlicht auf meinem nicht mehr existenten Blog musive.de]

Es ist 1933, Hitler ist gerade Kanzler geworden und eine Gruppe Widerständler*innen kämpft für das eigene Überleben und das der Menschen in ihrem Umfeld. Das antifaschistische Strategiespiel Through the Darkest of Times katapultiert uns in diese Situation und fragt: Was können wir tun?

 

Es gab schon einige Rezensionen und Kommentare zu Through the Darkest of Times zu lesen, die für mich treffendste, weil sie ehrliche Worte für all die Tragik und Emotionen findet, gibt’s bei game-curator. (Das SEO-Plugin motzt gleich garantiert, weil ich euch im vierten Satz alle woanders hinschicke, aber ich gehe die Dinge hier ein bisschen anders an, okay?). Sogar in den (Online-) Feuilletons wurde erfreulicherweise über dieses Spiel berichtet.

 

Deswegen ist das hier nicht die übliche Mischung aus persönlichen Eindrücken und Rezension, es geht eher in Richtung einer Analyse der Spielmechanik und anderen Stilmitteln, mit denen Through the Darkest of Times sich klar positioniert. Denn in Zeiten wie diesen wäre es doch schön, wenn nicht nur andere Studios, sondern wir alle uns an dieser Praxis ein Beispiel nähmen.

Spielmechanik

Zunächst einmal zum Spiel selbst: Zu Beginn würfeln wir uns unsere Figur, das betrifft unser Geschlecht (binär), Aussehen inklusive der Hautfarbe, den Beruf und unsere politische Orientierung wie zum Beispiel Monarchist*in, Sozialdemokrat*in, Anarchist*in und so weiter. Beruf und politische Orientierung beeinflussen einerseits die Zahlenwerte unserer Figur: Empathie, Propaganda, Stärke und Allgemeinwissen. Diese Werte entscheiden über Gelingen und Misserfolg unserer Missionen. Unser Beruf und unsere Einstellung beeinflussen andererseits aber auch, wer sich überhaupt von uns überzeugen lässt:

 

Möchten wir Arbeiter*innen für uns gewinnen, ist das einfacher, wenn wir selbst in Zusammenhang mit der Arbeiterklasse stehen. Damit nicht alles nur von unserer Figur abhängt, kommen gleich zu Beginn zwei weitere, zufällige Charaktere hinzu. Insgesamt kann unsere Gruppe aus bis zu fünf Leuten bestehen. Denen weisen wir dann auf einer stilisierten Karte von Berlin jede Runde verschiedene Aufgaben zu, um unsere drei Hauptressourcen zu managen: Geld, Unterstützer*innen und unsere Gruppenmoral.

 

Das Spiel endet, wenn die Gruppenmoral komplett gefallen ist, oder mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Für bestimmte Missionen müssen erst gewisse Voraussetzungen erfüllt werden, das zu schaffen ist ziemlich schwierig, denn unsere Leute werden manchmal gesehen oder sogar verhaftet. Wir müssen also ständig das Risiko unserer Aktionen abwägen und natürlich steigt dieses Risiko im Laufe der Zeit durch historische Ereignisse.

Spielmechanik und Erzählung greifen ineinander

Die Schwierigkeit, die eigene Gruppe überhaupt zu erhalten, geschweige denn tatsächlich mal eine größere Aktion durchführen zu können, ist vielleicht für einige Spieler*innen frustrierend. Es ist aber dem Setting absolut angemessen und somit – kurzer Ausflug in die Game Studies – ein Fall von ludonarrativer Konsistenz. Das bedeutet eigentlich nichts anderes, als dass die Spielmechanik (ludo) die Erzählung des Spiels (narrativ) unterstützt / mit ihr übereinstimmt.

 

Das mag erst einmal nicht nach einer Besonderheit klingen, aber wenn das Gegenteil der Fall ist – nämlich bei einer ludonarrativen Dissonanz – ergibt sich ein schiefes Bild über die Aussage des Spiels. Sie wird dann von Spieler*innen eher als übertrieben oder „nervig“ wahrgenommen. Das am häufigsten benutzte Beispiel für ludonarrative Dissonanz ist das Tomb Raider Reboot von 2013, in dem eine junge Lara Croft geschockt ist, dass sie ein Reh töten muss und trotzdem wenig später von Spieler*innenhand alle ihre Gegner*innen niedermetzelt ohne, dass das thematisiert wird.

 

Viele Spieler*innen konnten diesen ursprünglichen Schock nicht ernst nehmen, schließlich hatte die Spielmechanik ihnen niemals vermittelt, dass Töten eine Herausforderung darstellt. Ludonarrative Dissonanz kann in einzelnen Fällen auch ein Stilmittel sein, das würde für ein ernstes und realistisch verankertes Spiel wie Through the Darkest of Times jedoch nicht funktionieren.

„Alerta!“ Wie kommt Haltung in ein Spiel?

Als ich vor ungefähr einem Jahr das erste Mal von Through the Darkest of Times hörte, war ich zwiegespalten: Ein Strategiespiel über eine fiktive Gruppe von Widerstandskämpfer*innen zur NS-Zeit? Ja unbedingt, bitte! Aber würden die Entwickler*innen sich klar genug positionieren und das nötige Fingerspitzengefühl beweisen?

 

Das sind beides Dinge, die Videospielen (nicht nur, aber auch) mit diesem Setting oft abgehen. Denn sie folgen zu oft, wie Christian Huberts in seinem Artikel für ZeitOnline sehr gut beschreibt, einem falschen Versprechen von Neutralität und Nicht-Politisierung. Den Entwickler*innen von Paintbucket Games ist es jedoch extrem wichtig, sich dem klar und deutlich entgegen zu stellen und das macht sich bemerkbar.

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Das Spielbrett, die Karte von Berlin, unten am Bildschirmrand die Mitglieder der Crew. © Paintbucket Games.

Das Allerwichtigste zuerst: Die historischen Ereignisse in Through the Darkest of Times sind sehr gut recherchiert und die Situationen im Spiel basieren alle auf wahren Ereignissen. Es gibt also kein Ausdenken oder Übertreiben, was letztendlich Holocausleugner*innen in die Karten spielen würde.

 

Dafür wurde zum Beispiel erst vor kurzem die Serie Hunters stark vom Auschwitz Museum kritisiert, nachzulesen in diesem Tweet (Inhaltswarnung für den möglicherweise für einige verstörenden Screenshot). Und auch die Haltung des Spiels ist erfrischend eindeutig antifaschistisch. Wie genau das zu Stande kommt möchte ich gerne etwas genauer besprechen, weil ich es wichtig finde solche positiven Beispiele hervorzuheben – Negative gibt es schließlich eh schon viel zu viele.

 

Diese Ereignisse werden uns in kurzen Sequenzen, Zeitungstiteln und Dialogen zwischen dem eigentlichen Spielgeschehen erzählt. Manchmal werden auch Ausschnitte aus Reden abgespielt. Durch diese Verbindung von Gameplay und erzählerischen Mitteln schafft das vom Medienboard Berlin Brandenburg geförderte Through the Darkest of Times mehrere Dinge, die nicht nur anderen Spielen oft schwerfallen:

  1. Opfer und Überlebende werden fast immer als mehr charakterisiert als nur das, ihren Geschichten, ihren Hoffnungen, Zweifeln und Ängsten wird Raum gegeben.
  2. Auch wenn reale Gewalt benannt oder gezeigt wird, hat das niemals etwas Voyeuristisches oder eine übertriebene künstlerische Stilisierung an sich, an der sich irgendwer ergötzen könnte.
  3. Der Antisemitismus der Nazis wird nicht einfach „vergessen“ und ausgespart, das ist besonders in Spielen sonst ein Problem. Die Schwierigkeit hier besteht natürlich darin, Hass beziehungsweise hassvolle Botschaften nicht plump zu reproduzieren, sondern sie einzuordnen und die gemeine Systematik dahinter verständlich zu machen. Ohne eine so klare Positionierung des Spiels wie sie hier gegeben ist, wäre das nicht möglich. Trotzdem würde ich dem Historiker Nico Nolden in seiner Einschätzung zustimmen, dass Through the Darkest of Times eine antifaschistische Haltung der Spieler*innen voraussetzt und z.B. im Schulunterricht definitiv durch andere Mittel begleitet werden sollte.
  4. Der Grafikstil ist eine Hommage an Leute wie Käthe Kollwitz und George Grosz, der Soundtrack besteht aus 20er-Jahre Swing und die Sprecherin ist die Enkelin eines Widerständlers. Anstatt NS-Ästhetik zu bedienen werden hier also explizit künstlerische Mittel verwendet, die die Nazis zerstören wollten. Es gehen also nicht nur Haltung und Spielmechanik Hand in Hand, auch die Wahl der Stilmittel unterstützt die Aussage.
  5. Die Täter*innen werden nicht als holzschnittartiges Böses oder verbohrte Trottel dargestellt, sondern in all ihrem gruseligen, grauenhaften Menschsein, sei es nun bei Apfelkuchen und Kaffee oder im Luftschutzbunker.

Ein paar Worte zum Schluss

Für sich genommen mögen diese Dinge unbedeutend sein. Zusammengenommen vermitteln sie jedoch eine kohärente Botschaft: Nie wieder! Wir erinnern uns! Und wir alle können etwas tun, egal wie unbedeutend es auf den ersten Blick erscheinen mag. Es ist traurig und schockierend, dass ein Spiel, das so klar Stellung bezieht, wirklich auffällt. Ich hoffe, dass die durchweg positiven Kritiken weitere Entwickler*innen ermutigen.

 

Und ich hoffe, dass Through the Darkest of Times tatsächlich gespielt wird, denn es kommt nicht allzu oft vor, dass ein Spiel seine Mittel so klug einsetzt. Dass es so voller Empathie und gleichzeitig so aufklärend ist. Das Spiel allein kann Geschichtsunterricht, Museumsbesuche, Archivarbeit und Gedenken nicht ersetzen, aber es kann auf all diese Dinge hinweisen, Interesse und Bewusstsein wecken. Ich denke, das ist von unschätzbarem Wert!

 

Ich bin gespannt, wie sich dieser Ansatz im nächsten Spiel von Paintbucket Games niederschlagen wird. In The Darkest Files soll es um Nazi-Verbrechen in der Nachkriegszeit gehen. Das Medienboard Berlin-Brandenburg hat auch für The Darkest Files bereits Fördermittel bewilligt. Mir ist nicht bekannt, dass es schon etwas Vergleichbares gibt, ich bin sehr gespannt darauf!