Sonntagabend um 18:00 Uhr geht’s im ausverkauften Wembley Stadion um den EM-Titel. Ich habe mich an eine Vorschau auf das Finale zwischen England und Deutschland gewagt.
Vorschau auf das EM-Finale England gegen Deutschland
Ganz kurz in eigener Sache: Natürlich hatte ich auch nach dem deutschen Halbfinale wieder geplant, hier zum Spiel zu schreiben, der Tag danach war aber bei mir persönlich so durcheinander mit kurzfristigen Anfragen und technischen Problemen, dass ich es schlicht nicht geschafft habe. Danach brauchte ich nach ca. einem Monat durcharbeiten ohne so richtige Pause für den Kopf dann genau das. Für so ein Finale braucht es schließlich Energie!
Voller Energie und Aufregung ist auch die Berichterstattung rund um dieses Finale, vor allem in der englischen Presse gibt es seit dem Sieg gegen Schweden mit jedem Tag mehr zu lesen, zu hören, zu sehen.
Aber auch in Deutschland bewegt sich was, das zeigt sich allein schon am Public Viewing im Frankfurter Stadion am Sonntag und dem bereits angekündigten öffentlichen Empfang des deutschen Nationalteams am Montag, unabhängig vom Ausgang des Endspiels.
Wie es tatsächlich ausgehen könnte, weiß ich natürlich auch nicht, obwohl ich gerade so viel über dieses Spiel nachdenke. Es ist auch ganz komisch, ich habe seit dem ersten Spiel gegen Dänemark eine für mich ganz untypische Zuversicht, was den Fußball dieses Teams angeht. Normalerweise mache ich mir umso mehr Sorgen, je näher mir ein Team oder Verein ist.
Wenn man sich die Lockerheit der Spielerinnen über das ganze Turnier so anschaut, ist da der Funke sofort voll übergesprungen, obwohl ich vorher definitiv zu den Skeptikerinnen gehört habe. Der Titel nach dem damaligen Spiel hier im EM-Tagebuch war “Da gedeiht etwas” und das empfinde ich die ganze Zeit so, selbst wenn es wie gegen Frankreich in manchen Spielphasen mal hakt.
Mögliche Aufstellungen
Eigentlich ist die Frage nach den Startformationen leicht zu beantworten, Sarina Wiegman spielte immer mit der selben Elf und Martina Voss-Tecklenburg auch, es sei denn es ging nicht anders. Bis zu ihrer Covid-19-Infektion war stets Klara Bühl gestartet, sie fällt aber wie schon im Halbfinale weiter aus.
Im Spiel gegen Frankreich startete für sie Jule Brand. Einen schwerwiegenderen Wechsel hätte es in der Innenverteidigung geben können, weil Marina Hegering im Halbfinale verletzt ausgewechselt werden musste. Heute hieß es allerdings, dass die Abwehrchefin dabei sein könne.
Für das Aufstellungsbild unten habe ich die offensiven Flügel also so besetzt wie beim letzten Mal, mit Svenja Huth meistens über links und Jule Brand rechts.
Dass sich an den Formationen grundsätzlich etwas ändert, kann ich mir nicht vorstellen, das ist eher je nach Spielverlauf eine Möglichkeit. Beide zeigten im Turnier schon, dass sie nach Bedarf auch auf eine Dreierkette umstellen können. Deutschland machte das gegen Spanien, um die eigene Führung zu verteidigen, weil der Druck vor allem über die eigene linke Seite zu groß wurde.
England hingegen nutzt eine Umstellung auf Dreierkette manchmal als eine Offensiv-Variante, damit sich die beiden Außenverteidigerinnen noch mehr in die Offensive einschalten können. Auch das gab es gegen Spanien zu sehen. Millie Bright wurde für ein paar Minuten zur Stürmerin umfunktioniert, als England wieder vorne lag, ging es zurück zur Viererkette mit Bright hinten in der Abwehr.
... und mögliche Dynamiken
Im tatsächlichen Spiel sehen die Formationen dann natürlich anders aus, als auf dem Papier. Mit Lucy Bronze und Giulia Gwinn schieben auf beiden Seiten die rechten Außenverteidigerinnen besonders hoch und sind sehr ins Offensivspiel eingebunden. Ihre jeweiligen Teamkolleginnen Felicitas Rauch und Rachel Daly auf der anderen Seite machen das auch, sind dabei aber nicht so auffällig eingebunden.
Das sorgt dafür, dass hinter all ihnen theoretisch sehr viel Platz ist, der mit langen Bällen auf die offensiven Flügelspielerinnen ausgenutzt werden könnte. Die Lösungen, damit umzugehen, sind auf beiden Seiten etwas unterschiedlich.
Deutschland löst so etwas sehr viel in der Gruppe. Gwinn hat ein sehr gutes Gefühl für Timing, wann sie mit nach vorne gehen kann, wann sie sich zurückfallen lassen muss und wenn es – wie gegen Frankreich – die Situation erfordert, auch wann sie zentraler im Mittelfeld gebraucht wird. Sie bekommt aber auch viel Unterstützung von der offensiven Spielerin auf ihrer Seite, das war meistens eben Huth, und aus dem Mittelfeld von Däbritz und Oberdorf.
Auf englischer Seite sehen die beiden Außenverteidigerinnen Bronze und Daly bei diesem Turnier in der Defensive oft nicht gut aus, das liegt aber vor allem daran, dass sie weniger Unterstützung bekommen, als Gwinn oder Rauch. Bzw. kommt diese Unterstützung immer erst einen Tick später bei ihnen an.
Die Ausrichtung Englands ist insgesamt sehr viel offensiver. Die vorderen Flügelspielerinnen Hemp und Mead arbeiten weniger mit nach hinten, als Huth und Bühl oder Brand es tun. Lucy Bronze löst das dann oft mit all ihrer individuellen Klasse und Erfahrung, Rachel Daly gelingt das nicht so häufig, wenn sie viel unter Druck gesetzt wird.
Oberdorf und Walsh, wer beherrscht das Mittelfeld?
Es gibt das Duell um die Torjägerinnenkanone zwischen Beth Mead und Alexandra Popp, es gibt das Duell zwischen den Pfosten: Merle Frohms vs. Mary Earps und es gibt gleich mehrere Duelle im Mittelfeld.
Oberdorf und Walsh habe ich hier herausgegriffen, weil sie für mich die jeweils wichtigsten Spielerinnen sind. Ohne sie könnten Deutschland und England nicht so agieren, wie sie es tun. Natürlich gehört da immer das Zusammenspiel mit den Akteurinnen drumherum dazu, Fußball spielt man nicht alleine.
Deutschland kommt wie oben schon angedeutet sehr stark über die Gruppentaktik, die schwere Überwindbarkeit des Mittelfelds beginnt bereits mit dem Anlaufen der drei Offensivspielerinnen, das dafür sorgt, dass so mancher Ball aus der gegnerischen Abwehr nicht so genau kommt.
Lena Oberdorf sammelt diese Pässe dann ein. Sie hat dabei gleichzeitig die Seelenruhe der Schrebergärtnerin, die schon seit 40 Jahren die Parzelle direkt hinterm Tor vom Aschenplatz hat und jeden Tag drei Bälle umsichtig aus den Rosenbüschen befreit, als auch die Wucht und Präzision einer Eishockeyspielerin, die ihre Gegnerin mit herzlichen Grüßen Richtung Bande schickt.
Sie deckt die komplette Breite des Feldes ab, unterstützt mal auf der linken Seite, mal auf der Rechten. Und bei all ihrer Physis und Zweikampfstärke werden ihre Technik und ihr Passspiel oft unterschätzt. Sie beherrscht es perfekt, sich mit Ball schnell zu drehen und weiterzuleiten und löst sich so auch aus größerer Bedrängnis.
Gegen Frankreich hatte sie mit einem scharfen Diagonalpass auf die linke Seite einmal das halbe französische Team aus dem Spiel genommen, leider musste der Angriff dann trotzdem abgebrochen werden.
Auf der anderen Seite steht mit Keira Walsh eine Spielerin, die weniger physische Elemente in ihrem Spiel zeigt, das übernimmt Georgia Stanway. Aber Walsh ist der Dreh- und Angelpunkt des englischen Spiels. Sie schafft es immer noch irgendwie sich aus der gegnerischen Deckung zu schleichen und die perfekte Lücke für ihren Pass zu finden. Auch sie ist sehr ballsicher, hat eine exzellente Technik.
Beide Mittelfeldreihen werden sich gegenseitig alles abverlangen, das wird vielleicht gerade anfangs nicht immer schön aussehen. Ich könnte mir vorstellen, dass es mit den großen Torchancen vielleicht etwas dauert. Aber wer technisch versierte Zweikämpfe und gerade noch so spielbare Pässe liebt, wird sich an vielen Details erfreuen können.
Achja, und ich meine das ernst mit der Zuversicht, ich denke, dass Deutschland gewinnt.
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- Helene Altgelt und Daniel Holfelder haben sich für 90min überlegt, welche Duelle (teils im übertragenen Sinn) für das Finale besonders wichtig werden.
- Lena Oberdorf bekommt international endlich die Aufmerksamkeit, die ihr Spiel verdient, es gibt gerade zig Artikel über sie. Was sie aus spielerischer Sicht so wertvoll macht, beschreibt Om Arvind im eigenen Newsletter.
- Alina Schwermer war während der EM in England unterwegs und beschreibt für die TAZ ihre Eindrücke, nicht nur vom Turnier selbst, sondern auch der Haltung der locals und so manchem Kollegen.
Fotocredit: Das Wembley Stadion aus der Luft fotografiert. © Photo London Uk | Dreamstime.com